Update Opioide
Andreas Sandner-Kiesling
Opioide gehören zu den potentesten Schmerzmedikamenten, die wir kennen und im klinischen Alltag benützen. Gleichzeitig verunsichern sie uns als Therapeuten am meisten: Einerseits als „kontrollierte Substanzen“ mit dem dazugehörigen erhöhten administrativen Aufwand, durch die für uns bedrohliche Nebenwirkung einer potenziellen Atemdepression bis hin zum Atemstillstand. Andererseits irritieren uns ihre teilweise beobachtete Unwirksamkeit, im Sinne einer von uns erlebten therapeutische Unsicherheit, und natürlich durch das bestehende Abhängigkeits- bzw. Missbrauchspotenzial und den aktuellen Schreckensmeldungen aus den Vereinigten Staaten.
Opioide stellen keine analgetischen Wundermedikamente dar. Sie sind eine Substanzgruppe mit einem hohen Potenzial jenen PatientInnen mit starken Schmerzen zu helfen, vorausgesetzt die Indikation wurde richtig gestellt, derPatient/die Patientin bewusst ausgesucht und einfache pharmakologische Grundprinzipien berücksichtigt. Im Gegensatz zu den Nichtopioid-Analgetika besitzen Opioide keine Organtoxizität und bei richtiger Indikation eine hohe therapeutische Sicherheit.
Als häufigste Nebenwirkungen treten zu Beginn der Therapie Übelkeit / Erbrechen oder Verstopfung auf. Sollte die Patientin / der Patient müde werden, oder die Pupillen sich zunehmend verengen, kann dies als erstes Zeichen einer Überdosierung interpretiert werden. Die Atemdepression wird erst schlagend, wenn die Patientin / der Patient schläft. Als seltene, aber genauso belastende Nebenwirkungen werden das serotoninerge Syndrom, hormonelle Veränderungen, Juckreiz, Blasenentleerungsstörungen, Anorgasmie und die Opioid-Induzierte Hyperalgesie beobachtet. Sie erfordern eine rasche Reaktion der TherapeutInnen.
Der wichtigste Grundsatz der Ersteinstellung chronischer SchmerzpatientInnen lautet „Start low – go slow!“: Mit möglichst niedriger Dosierung starten und Steigerungen im Wochenabstand, um die hohe Toleranzenetwicklung (= 25-50% der Gesamtwirkung nach einer Woche) für eine nebenwirkungsfreie Einstellung zu nützen. Während akute SchmerzpatientInnen einen raschen Wirkeintritt zum Zeitpunkt der Beschwerden benötigen und die Schmerzen binnen weniger Tage abklingen ( i.v.-Therapie oder Gabe unretardierter Medikamente = Bedarfsmedikation), benötigen chronische SchmerzpatientInnen (d.h. auch AkutpatientInnen, wenn sie auf eine kurzfristige Dauertherapie eingestellt werden) eine retardierte Galenik (Basismedikation) zur Aufrechterhaltung eines konstanten therapeutischen Spiegels. Hier unretardierte Opioide einzusetzen stellt aus pharmakologischer und therapeutischer Sicht einen ziemlichen Nonsens dar, auf Kosten der leidenden PatientInnen. Im Gegenteil, mit der Langzeitgabe von Opioiden steigt das Risiko von Abhängigkeit und Sucht, bei unretardierten Opioiden mehr als bei retardierten.
Entscheidend für eine wirksame Therapie sind die Auswahl des richtigen Opioids anhand seines pharmakologischen Profils und der Auswahl geeigneter PatientInnen anhand ihrer zugrunde liegenden Beschwerden und (medikamentösen) Vorgeschichte.
Opioide mit einem analgetischen Effekt über die µ-Rezeptoren ohne Aktivierung anderer Systeme wie Natrium-Kanäle, Kappa-Rezeptoren, NMDA-Reztoren oder einer Noradrenalin-Serotonin-Wiederaufnahmehemmung wirken primär rein schmerzdämpfend: „Der Schmerz ist noch genauso da wie vorher, aber er belastet nicht mehr!“ Dies gilt im Speziellen für Fentanyl und Hydromorphon. Daher sind diese beiden Opioide primär für den rein somatischen Schmerz geeignet. Sobald noch einer der oben angeführten weiteren Wirkmechanismen zur µ-Rezeptor-Antagonismus dazukommt, können diese Opioide (z.B. Morphin, Buprenorphin, Methadon, Tramadol, Oxycodon) bei Mischschmerzen gut eingesetzt werden bei zu erwartendem höheren analgetischen Effekt.
Die aktuelle S3-Leitlinie zur Langzeitgabe von Opioiden bei Nicht-Tumorschmerzen (LONTS) der AWMF (www.leitlinien.net) hilft bei der Auswahl der PatientInnen. So sollen Opioide z.B. bei Kopfschmerzen, bei funktionellen viszeralen Schmerzen oder bei vorrangig psychiatrischen Erkrankungen gar nicht eingesetzt werden, da sie dort wenig bis gar nicht wirksam sind. Zusätzlich muss man damit rechnen, dass nur jeder 2. Patient opioid-sensibel ist und von einer Opioidtherapie profitiert. Die anderen Patienten sind opioid-insensibel. Bei diesen PatientInnen sollte ein Ausschleichversuch gestartet werden, falls sie auf Opioide eingestellt worden sein.
Die Angst vorm Einsatz von Opioiden in der Schmerztherapie ist völlig unbegründet. Mehr Respekt sollte man vor den tlw. wirklich organschädlichen Nicht-Opioiden haben. Bei vorsichtigem Einschleichen der Opioide, der Beachtung einfacher pharmakologischer Grundsätze, einer kritischen Auswahl der PatientInnen und einer aufmerksamen Begleitung der auf Opioide eingestellten PatientInnen spielen sie ihre gesamte analgetsiche Stärke aus, zum Nutzen unserer PatientInnen.